Über das Projekt
Herkömmliche Begriffe und Methoden der Erziehung und Bildung werden bis heute durch Film und andere Bewegtbilder herausgefordert und verändert. Besonders nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde Film in einer Vielzahl pädagogischer und didaktischer Kontexte eingesetzt. Das Projekt "Praktiken des Lehr- und Unterrichtsfilms in Österreich" (FWF, P32343) hat diese Geschichte der Verwendung von Film in Erziehungs- und Lehrzusammenhängen in Österreich zwischen 1918 und Ende der 1960er Jahre erforscht. Die untersuchten Kontexte reichen vom Einsatz im Klassenzimmer und Vorführungen im Rahmen der Volksbildung bis zu universitärer Fachlehre, Berufsbildung und Beratung.
Gegenstand unserer Forschung waren der Lehr- und Unterrichtsfilm als Praktiken. Dieses Verständnis von Praktiken umfasst nicht nur die projizierten Filme, sondern auch die Institutionen, die diese in Auftrag gegeben und vertrieben haben, die Rechtsvorschriften, die zur Regulierung von belehrenden und erziehenden Filmvorführungen erlassen wurden sowie die Orte und Situationen der Vorführung. Lehr- und Unterrichtsfilme wurden in Klassenzimmern und kommerziellen Kinos gezeigt, in Vortragssälen oder betrieblichen Versammlungsräumen. Die Vorführsituation konnte einen Begleitvortrag und Arbeitsaufträge für das Publikum einschließen; zum besseren Verständnis konnte ein Zeigestock Bildpartien herausstellen, der Film durch Dias ergänzt oder durch begleitende Projekte vor- und nachbesprochen werden. Wir verwenden den Begriff des Dispositivs, um zu beschreiben, wie diese verschiedenen Elemente aufeinander und auf die intendierten Ziele einer Vorführung einwirkten, die Bedeutung mitproduzierten. Die Praktiken des Lehr- und Unterrichtsfilms, so unsere zentrale These, nehmen konkrete Formen an in der Verknüpfung zwischen institutionellen Strategien, Vorführungssituationen und den Formen, Stilen und Inhalten der gezeigten Filme. Diese Aufmerksamkeit für Praktiken hatte Konsequenzen für unsere empirische Forschung: Filme wurden mit ihren Begleitmaterialien verbunden, darunter Anleitungsbroschüren und Vortragsskripten, die traditionell an anderen Orten aufbewahrt wurden. Auch bei der Interpretation der gesammelten Daten wurde berücksichtigt, dass die Bedeutung eines Films stark vom Zusammenhang seiner Vorführung bestimmt wird.
Diese Website bietet Zugang zu einem wesentlichen Forschungsergebnis des Projekts: Die Datenbank und Mediensammlung vereint unsere gesammelten Informationen zu den im Projekt gesichteten Filmen sowie relevanten Organisationen, Personen, Rechtsvorschriften und Vorführorten (oft versehen mit einem kurzen historischen Abriss). Darüber hinaus sind Digitalisate einiger wesentlicher Quellen (Filme, Lichtbildserien, Texte) in der Datenbank verfügbar – viele davon im Rahmen von Fallstudien, in denen wir schlaglichtartig das Spektrum der Einsätze von Film in pädagogischen Zusammenhängen in Österreich beleuchten und Einblicke in unsere Forschungsergebnisse bieten.
Zu vielen dieser Fallstudien lässt sich in unseren anderen Publikationen nachlesen. Diskutiert haben wir im Rahmen des Projekts unsere Funde nicht nur mit Fachkolleg*innen, sondern auch mit Schüler*innen und Mittelschul-Pädagog*innen. Da das Bewegtbild nach wie vor unsere Vorstellungen von Unterweisung und Erziehung herausfordert – etwa in der Form von Anleitungs- und Explainer-Videos im Internet –, sind wir überzeugt, dass unsere Resultate auch für ein Verständnis aktueller Medienumwelten aufschlussreich sind.
(Joachim Schätz)
Zeichnung einer Schülerin im Brief an die Leiterin einer Bezirksbildstelle (SHB-Film-Post, H. 46/1954, 12)